Es ist eigentlich noch viel zu früh, dachte Lena und sah an der gelbstrahlenden Fassade des Verlagshauses hoch. Lena versuchte langsam und kontrolliert durchzuatmen, wie Marc es immer wieder mit ihr übte. Marc – beim Gedanken an ihn musste sie lächeln. Wider Erwarten hatte sie in den vergangenen Wochen angefangen, das Training zu geniessen. Denn mittlerweile ging ihr nicht bereits beim Einschwimmen die Luft aus. Auch Marc war die Veränderung aufgefallen. «Du wirst immer lockerer bei den Übungen», lobte er. Sie lachte: «Das könnte vielleicht daran liegen, dass ich mich jetzt schon manchmal aufs Schwimmen freue.» «Es ist zum Ausgleich vom sonstigen Stress geworden.» «Bleibt das so?» Nun lachte Marc. «Das kannst du dir abschminken. Meiner Erfahrung nach ist der innere Schweinehund einer der treuesten Gefährten des Menschen.» «Gilt das auch für dich?» «Das gilt besonders für mich, meiner ist mindestens zwei Meter grösser als ich. Keine leichte Übung, den an die Hand zu nehmen.»

«An die Hand nehmen» – Marcs Worte brachten Lena in die Gegenwart zurück. Sie straffte die Schultern. Besser zu früh als zu spät, und der erste Tag wird nicht besser, wenn du draussen stehen bleibst, sprach sie sich selbst Mut zu. Mit diesen Gedanken schritt sie zum Empfang. «Guten Morgen, mein Name ist Kronenberg. Marcel Brugger hat mir gesagt, ich soll mich an meinem ersten Arbeitstag bei Ihnen melden.» Lenas Stimme zitterte leicht, und der kritische Blick dieser blonden Diva trug auch nicht wirklich zu ihrem Wohlbefinden bei. «Mein Name ist Schüppbach, Clara Schüppbach», mit dieser knappen Vorstellung erhob sich die Dame. «Sie sind früh dran, Frau Kronenberg.» Clara Schüppbach überholte Lena, um vorauszugehen. Der Blick, den sie ihr zuwarf, hiess: «Wieder eine, die denkt, so etwas könnte den Chef beeindrucken.» Laut sagte sie: «Wir sind alle sehr neugierig darauf, was aus der neuen Abteilung wird. Es ist ja das erste Experiment dieser Art für unser Magazin.» «Ich weiss, ich bin auch schon ziemlich aufgeregt», hörte Lena sich selbst sagen. Was red ich da bloss, schalt sie sich innerlich. Das hat sicher wunderbar kompetent gewirkt. Aber Clara Schüppbach reagierte gar nicht, sie spurtete über den dunkelblauen Teppich so schnell es ihre Stöckelschuhe zuliessen. Lena staunte, wie leicht ihr das fiel, und war froh, ihrerseits die flachen Schuhe mit den silbernen Nieten gewählt zu haben. Gegenüber dem Deux-Pièces von Frau Schüppbach war sie mit ihren schwarzen Jeans, dem schwarzen T-Shirt und dem bordeauxfarbenen Blazer hoffnungslos underdressed. Wenn ich allerdings in Frau Schüppbachs Klamotten stolpern und mich auf den Fussboden legen würde, entstünde sicher auch kein besserer Eindruck. Sie hörte in ihrem Kopf, was Isabelle während des gemeinsamen Shoppings immer wieder gepredigt hatte. «Du musst dich in den Kleidern wohlfühlen. Das setzt den Kleidern keine Grenzen, es liegt an dir, die deinen weiterzuentwickeln.» Schwarze Spitze, pinkes Leopardenmuster, rote Lederhosen – ausprobiert hatte sie vieles. Doch für den Moment reichte der Blazer als Neuerung. Endlich hatten sie das Büroabteil erreicht. «Die Passworte für den Computer haben wir hier», sagte Frau Schüppbach. Sie hob mit spitzen Fingern die Schreibtischunterlage und reichte Lena einen Zettel. «Sollte irgendetwas nicht klappen, steht hier», sie tippte in die Mitte des Blattes, «die Nummer der Hotline. Machen Sie sich erst einmal mit dem System vertraut. In einer halben Stunde findet die erste Sitzung im Aquarium statt.» Sie zeigte auf den gegenüberliegenden Raum, der dank Glasscheiben von allen Seiten einzusehen war. Mit den Worten: «Sie wissen ja, wo Sie mich finden», war sie verschwunden. Lena seufzte leicht. Selbst wenn dem so wäre, würde ich mir wahrscheinlich lieber die Zunge abbeissen, als sie zu fragen.

Lena setzte sich an den Schreibtisch. Wenigstens sind Computer immer auf dieselbe Weise ein- und auszuschalten und ich brauche dafür keine Hilfe. Sie drückte auf den Knopf und der graue Kasten begann pflichtschuldig zu surren. Irgendwann erschien dann auch tatsächlich das Fenster für die Passwörter. Sorgfältig übertrug Lena alle Buchstabenkombinationen vom Zettel auf die Tastatur. «Login denied.» Okay, das Ganze noch einmal von vorn, und diesmal noch besser auf die Gross- und Kleinschreibung achten. «Login denied.» Das ist tatsächlich die beste Art, einen guten Eindruck zu machen. Man kriegt noch nicht einmal den Computer zum Laufen, fluchte Lena innerlich. Inzwischen zitterten ihr bereits die Finger, sie schwitzte und fürchtete, ihr Kopf könnte so tomatenrot sein, wie er sich anfühlte. «Will er nicht?»