Plötzlich stand Lena einem blonden Hünen gegenüber. War der unter dem Tisch versteckt gewesen? «Ja, nein – mmm – er akzeptiert das Passwort nicht», stammelte Lena. «Na, dann rede ich mal mit ihm.» Ihr Gegenüber griff rechts und links in die Gürtelschlaufen seiner Jeans und zog die Hosen hoch, bevor er um den Tisch herumkam. Der sieht aus wie ein Wikinger, da fehlt nur noch der Helm, dachte Lena. Aber ein schönes Lächeln. Er unterbrach ihre Gedanken. «Darf ich mal?», fragte er freundlich und zeigte auf den Bildschirm. «Okay, wenn Sie wollen», schon war Lena aufgesprungen und mit ihrem Schuh auf seinem linken Fuss gelandet. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. «Gut, dass meine Schuhe baustellentauglich wären. Immer ruhig bleiben, ich hab nicht vor, den Computer zu klauen.» Lena schwieg unsicher. Was hätte sie darauf ernsthaft antworten sollen? «Ich hab heut meinen ersten Tag hier. Ich bin etwas nervös.» «Also, dass Sie nervös sind, darauf wäre ich nie gekommen», foppte der Hüne sie weiter. Lena fand das alles andere als lustig. Er spürte schnell, dass er nicht den richtigen Ton getroffen hatte. «Sorry, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.» «Ich nehme meinen Job ernst. Wie heissen Sie überhaupt?» Lena wollte von ihrer Verlegenheit ablenken. «Ich bin Oliver und auf der Etage für die Technik zuständig. Wie heissen Sie?» «Lena Kronenberg, ich bin eine der Redakteurinnen in der neuen Abteilung.» Während ihres Gesprächs waren seine Finger in einem Affentempo über die Tastatur geglitten. Auf dem Bildschirm hatten sich zahllose Fenster geöffnet und wieder geschlossen. Keine Chance, diesen Weg nachzuvollziehen, dachte sie. «Okay Lena, dann geben Sie doch mal hier ein Passwort ein.» «Was für ein Passwort?» «Am besten ein Wort, das sie garantiert nicht vergessen, wenn es mit Zahlen kombiniert würde, wäre das ein zusätzlicher Schutz gegen allfällige Hacker.» «Und Sie drehen sich so lange weg?» Oliver verzog das Gesicht. «Warum sollte ich mich wegdrehen?» «Na, sonst kennen Sie doch mein Passwort.» «Sonst kenne ich – natürlich.» Oliver wandte sich um. Ein paar Sekunden später. «Und, funktioniert es?» «Das Ührchen dreht noch.» Dann der freudige Ausruf: «Ja, es hat geklappt.» Oliver sah Lena an. Sie strahlte einen Moment selbstvergessen, dann spürte sie seinen Blick und sah hoch. «Danke, Sie haben mir sehr geholfen. «Bitte, bitte. Das ist computertechnisch gesehen keine grosse Angelegenheit. Ich musste mich bloss als Administrator einloggen und die Passwortvergabe neu starten.» Er fing Lenas verständnislosen Blick auf und fügte hinzu. «Das funktioniert so, als hätte ich den Zweitschlüssel einer Wohnung hinter dem Blumentopf hervorgezogen, wäre in die Wohnung gegangen und hätte von drinnen neue Schlösser einbauen lassen.» «Na, darunter kann ich mir wenigstens etwas vorstellen.» Lena lachte. «So.» Oliver erhob sich, zog wieder seine Jeans hoch. «Jetzt muss ich mich um die anderen Computer hier kümmern, damit Ihre Kolleginnen», er nickte mit dem Kopf Richtung Tür, «auch etwas arbeiten können», sagte er, lächelte Lena an und verschwand wieder unter einem der Pulte.

 

Lena hatte Olivers Mimik richtig interpretiert und sich umgedreht. Clara Schüppbach hatte zwei weitere Frauen durch das Türenlabyrinth geführt. Da stand einmal die klassische Blondine mit Stil. Das heisst Beine bis zum Hals, lange Haare, einen Barbie-Busen, verpackt in einem anthrazitfarbenen Hosenanzug. Die andre so schlank, dass es fast schlaksig wirkte, mindestens einsneunzig gross, trug Nadelstreifenhose, T-Shirt und Pullover. Du hast eine Art, Frauen zu taxieren, schlimmer als die Machos, die du eigentlich selbst nicht leiden kannst, schalt Lena sich selbst. «Mary Reimann», stellte sich die Blondine vor und schüttelte Lenas Hand. «Julia Kern», die Sportliche tat es ihr nach. «Ich hab mich mal an den Computer gesetzt», sagte Lena verlegen. Sie hasst die immer leicht beklommene Stille, wenn sich Leute zum ersten Mal begegnen. «Läuft er überhaupt?», fragte Julia mit Blick auf den Bildschirm neugierig. «Das ist überall das Gleiche», seufzend stellte Mary Reimann ihren schwarzen Ladys-Aktenkoffer auf die Tischplatte. «Am ersten Tag läuft noch überhaupt nichts. Man wird allen möglichen Leuten vorgestellt, sucht das Arbeitsmaterial zusammen und geht abends trotzdem völlig erschöpft nach Hause.» «Also eine Menge Erfahrung?» Julia blieb beim Fragenstellen. «Ich war zwei Jahre bei der ‹Lilith› und ein Jahr bei ‹Lipstick›. Was hast du gemacht?», wandte sich Mary an Lena. «Ich habe mehrere Jahre als Freie bei einer Zeitung die Ochsentour gemacht. Aber ansonsten noch nicht viel.» «Und wie hast du diesen Job bekommen?» «Ich habe mich mit einer Reportage über das Fame Academy Casting in Zürich beworben.» «Wenn das für diesen Posten gereicht hat, musst du schreiben können.» Julia nickte anerkennend. «Eine Frau, mit der man rechnen muss.» Marcel Brugger unterbrach das Gespräch: «Ladys, auf in den Kampf. Die ersten Seiten wollen gefüllt werden.» Lena packte Block und Stift. Mit klopfendem Herzen folgte sie Marcel Brugger ins Aquarium.