In einer gleichberechtigten, egalitären Partnerschaft leben und Unterstützung erfahren – für mich ein Glück meines Lebens. Doch dieses Glück ist kein Allgemeingut. In Bezug auf die Gesellschaft als Ganzes wäre das maximal eindimensional gedacht. Ich will mehr wissen und frage nach. Anja Derungs ist seit 2012 Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich und Präsidentin der Schweizerischen Konferenz der Gleichstellungsbeauftragen. Zum Einjährigen des Frauen*streiks am 14. Juni 2019 gibt sie mir, im Rahmen eines Interviews, einen Einblick in ihre Arbeit und ihre Gedanken.

Anja Derungs, wie kann ich mir Ihre Arbeit vorstellen?

Auf der Fachstelle für Gleichstellung setzen wir uns täglich für die rechtliche und gelebte Gleichstellung von Frauen und Männern, von Lesben, Schwulen und Bisexuellen, von intergeschlechtlichen und Transmenschen ein. Wir informieren, beraten, vermitteln in Konflikten, bieten Weiterbildungen an, machen Projekte und führen eine Bibliothek zu Gleichstellungsthemen.

Ein aktuelles Beispiel – das Lehrmittel «be yourself» für Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 12 und 18 Jahren. Im Zentrum von «be yourself!» stehen sechs Filmszenen. Es geht um Themen wie «Zu den eigenen Gefühlen stehen», «Rollenbilder», «Übergriffe», «Körperbild», «Selbstwahrnehmung» und «Sexuelle Selbstbestimmung». Es gibt ein Begleitmaterial, worin sich abgestimmte Diskussionsfragen, Übungen und Hintergrundinformationen zu den Themen finden. Die Videosequenzen sind untertitelt. Für Jugendliche mit einer Hör- oder Sehbeeinträchtigung gibt es sie auch mit Gebärdensprache und Audio-Deskription.

Oft spielen in der Gleichstellungsarbeit mehrere Faktoren auf einmal mit: Eine alleinerziehende, schwarze junge Frau begegnet auf dem Arbeitsmarkt anderen Herausforderungen als eine weisse Frau über 50. Ein schwules Liebespaar wird abends auf dem Heimweg oft anders beachtet und behandelt als ein heterosexuelles Paar. Eine Frau mit Behinderung trägt ein erhöhtes Risiko für Benachteiligung und Diskriminierung. Vor einem Jahr fand der Frauenstreik statt, der eine unglaubliche Kraft hat – seither ist einiges passiert (bspw. Helvetia ruft). Dank vielen mutigen Frauen und solidarischen Männern.

Welches Ereignis, welche Veränderung im vergangenen Jahr hat Sie glücklich gemacht?

«Glück» ist ein schillernder Begriff – und ein Gefühl, das sich (leider) nicht festhalten lässt. Glück entsteht im Moment. So hat mich letztes Jahr der Frauen*streik glücklich gemacht: Es war eine wunderbare Erfahrung, so viel Frauenpower, Energie und Kraft und so viel Männersolidarität auf den Strassen zu sehen! Auch wenn der Frauen*streik dieses Jahr aufgrund der Pandemie-Situation anders aussehen wird, die Themen sind da, und werden es bleiben.

Welches Glück würde die Gleichstellung aller Menschen bedeuten?

Das Ziel von Gleichstellungsarbeit ist zwar nicht Glück, sondern Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. Aber: In einer Gesellschaft, in der alle Menschen – unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung – gleichwertige Chancen haben und in der sich alle auf Augenhöhe begegnen, da ist die Chance, dass mehr Menschen mehr glückliche Momente erleben grösser als in einer ungerechten Gesellschaft. Letztendlich teilen wohl viele Menschen das Bedürfnis nach einer gerechte(re)n und solidarischen Gesellschaft. Wer echte Gleichstellung und Gleichberechtigung will, kann nicht einfach nur auf Glück hoffen und bauen.