Markus war mittlerweile in der Herrenoberbekleidung angekommen. «Seiner Abteilung», wie er sie insgeheim nannte, obwohl er erst Stellvertreter war. In faszinierte es, Männer mit Hilfe von Kleidung neu zu gestalten. Da kam der Hip-Hopper frisch von der Schule und suchte nach dem Outfit für seine Banklehre. Oder umgekehrt. Der Anzugträger suchte nach Freizeitkleidung, mit der er eine coole Bardame im Lieblingsklub anbaggern konnte. «Entschuldigen sie», sprach ein junger Mann Markus an. «Gibt es diese Hose auch kürzer?» Markus musste sich ein Lachen verkneifen. Er begleitete den Kunden zum Spiegel und analysierte die Passform. «Die Hose sitzt vom Bund her sehr gut. Ich würde vorschlagen, wir stecken die Beine für sie passend ab. Ich gebe das Stück gleich in unserer Hausschneiderei ab und sie können es morgen im Laufe des Nachmittags abholen. Wäre das für sie eine gute Lösung?» «Das klingt super. Aber was kostet die Änderung?» Markus besah sich das Preisschild. «Ab 100 Franken fallen keine zusätzlichen Kosten für eine Änderung an.» Der Kunde drehte sich noch einmal kurz vor dem Spiegel. «Dann machen wir das so.» Markus notierte Anschrift und Telefonnummer für die Kartei und der Kunde ging zufrieden seines Weges. Markus faltete die Hose zusammen und wollte in die Schneiderei, als ihm auffiel, dass er Matilda seit dem Mittagessen nicht mehr gesehen hatte. Dass die Abteilung unbesetzt blieb, stand nicht zur Debatte. Also machte er sich auf die Suche. In dem kleinen Büro hinter den Lederjacken war sie nicht. Blieb nur der Lagerraum. Markus öffnete die Tür. «Matilda? Matilda wo bist du? Ich muss…», Markus beendete den Satz nicht. Er hatte die Kleiderstange mit den neuen Sommerhemden umrundet, da lag sie. Matilda. Ihre Augen waren geschlossen, ihr Gesicht bleich. Markus kniete sich nieder, stupste seine Arbeitskollegin an der Schulter, nichts. Jetzt packte ihn die Angst. Er fasste ihr Handgelenk – kein Puls. Mit seinem Handy rief er den Notfall des nahegelegenen Krankenhauses an, unternahm alle Erste-Hilfe-Massnahmen, die er kannte während in seinem Kopf nur eine Frage hämmerte: «Ist Matilda tot?»
