Ich möchte Lotti Latrous zu einem Kaffee einladen. Gerne würde ich meinem "Lesefühlen" die Begegnung zur Seite stellen. Das Buch wird als Autobiographie bezeichnet. Das ist es insofern, dass Lotti Latrous Leben den roten Faden bildet. Doch es sind die Begegnungen, die das Buch so intensiv machen. Sie schreibt, wie sie Kranken den Rücken massiert, die Füsse oder einfach ihre Hand hält - stundenlang. Sie schläft neben Vanessa, einem kleinen Mädchen, das an Aids stirbt. Sie schildert Nähe, Berührung losgelöst von der Frage nach dem Hab und Gut ihrer Hilfsbedürftigen. Sie will wertschätzen, was die Begegnungen bedeuten. Fühlt das Glück, wenn sie jemanden würdevoll aus dem Leben verabschieden konnte. Doch sie schreibt auch über Wutmomente und das erleichtert mich. Denn die Ignoranz Wohlhabender musss der Hohn sein, wenn man ein sechs Monate altes Baby auf dem Arm hat, das keine zwei Kilo wiegt. Das Buch über das etwas verrückte Leben der Lotti Latrous steht auf der Medienliste für die Schweizer Erzählnacht "So ein Glück". Und da ist es am richtigen Platz. Trotzdem war das Lesen für mich Schwerstarbeit. Die Tränen flossen stetig, etwa alle drei Seiten. Womit sich der Kreis schliesst. Ich wieder bei Berührung angelangt bin. Sich rühren lassen - wer den Mut hat, dieses Wagnis einzugehen, dem empfehle ich das Buch aus ganzem Herzen.